Do 30. Mär 2017, 23:15
Während sie in der Bahn saßen, dachte Elijah über ihre Worte nach. Auch wenn sie es ironisch gemeint hatte, witzig, er musste grinsen bei ihrem Vergleich mit einer Orgie. Elijah hatte schon so unglaublich lange nicht mehr direkt von der Ader getrunken, und sogleich war es ein Unterschied, ob man einen Menschen biss oder einen anderen Vampir. Letzteres war vermutlich das höchste Glück, was ein Vampir empfinden konnte. Elijah sehnte sich nicht danach, schließlich war sein letzter Moment in so einer Situation schon über hunderte Jahre her.. Manchmal fragte er sich, ob er sich sehnen würde, könnte er sich daran erinnern, doch die Erinnerung war mittlerweile so schwach und fern, schließlich hatte er schon lange nicht mehr Zuneigung empfunden. Immer wieder fuhr die Metro durch die unterirdischen Tunnel, mal sah man das Tageslicht, Londons U-Bahn-System war einzigartig. Ein kurzes Schmunzeln lag auf Elijahs Lippen, als sie sich anlehnte. Er legte seine Hand auf ihren Oberschenkel, ruhte. Er wusste nicht, wieso er dies tat, vielleicht gefiel ihm einfach der Gedanke, sie zu berühren, nicht im sexuellen Sinn, vielleicht einfach, dass er sich nicht einbildete, dass sie neben ihm saß. All ihre Worte, bezüglich seines Hab und Gut, bezüglich Josh, sie klangen so ehrlich, so dass er beruhigt in dieser Metro sitzen konnte, darüber nachdenkend, was für einen guten Fang er vermutlich mit dieser Hexe gemacht hatte.
Doch er schwor sich, er würde ihr nicht sagen, was er dachte – es war das Beste für die beiden, das ganze Thema ruhen zu lassen, mit Josh, mit Elijahs Vergangenheit, er würde ihr so gerne mehr erzählen, doch es brachte sie nur noch mehr in Gefahr. Doch jetzt, in diesem Moment, genoss er einfach ihre Anwesenheit. Es mag für Außenstehende vielleicht arrogant klingen, doch er freute sich darüber, jemanden zu begegnen, der ihm so wohl geistig, intellektuell und von der eigenen Stärke her ebenbürtig war. Er blickte auf ihren Kopf, welcher angelehnt auf seiner Schulter lag, und sein Gesichtsausdruck war so zufrieden wie lange nicht mehr. Als sie angekommen waren, stupste er sie kurz in die Seite. Als sie die Metrostation verließen, hatten sie nicht mehr weit zu gehen. Schlussendlich standen sie im Treppenhaus seiner Wohnung, es fühlte sich an wie der letzte Weg zu einer Beerdigung. Bei diesem Gedanken musste Elijah sich ein Grinsen verkneifen, auch wenn es vermutlich ein eher trauriges Lächeln gewesen wäre. Ihre Frage direkt vor dem Café hatte er ignoriert, nicht absichtlich, er musste erst darüber nachdenken. Dort oben vor der Tür angekommen, steckte Elijah den Schlüssel in die Tür. Im ersten Moment ließ sie sich nicht öffnen, denn der Wind, welcher durch die gebrochenen Fensterscheiben fegte, drückte die Tür fest in ihr Schloss. Kurzerhand öffnete Elijah die Tür relativ rabiat, das Schloss verbog sich. Er bemerkte, wie Aenwynn die Wohnung begutachtete, doch ihre kurze Berührung an seinem Rücken versetzte ihm einen kleinen Stich. Sie würde verstehen, das hoffte er zumindest, wie sehr ihn dieser Anblick schmerzte.
„Danke für deine Hilfe“ flüsterte er sanft, man konnte ihm seine Traurigkeit anhören.
Er ließ seinen Blick schweifen. Es gab keine Fotos, keine persönlichen, kleinen Geschenke, keine Erinnerungen aus früheren Zeiten, eigentlich gab es nichts persönliches in dieser Wohnung, außer seine Bücher. Er schritt ein paar Schritte nach vorn, das Glas der linken Glasfront knirschte unser seinen Füßen, denn es war zersplittert worden.
„Ich habe hier zwar nur ein paar Monate gelebt, aber weisst du, ich fühlte mich Zuhause.“ Er seufzte. Sein Blick wanderte die Bücherregale rauf und runter. Er schritt in die rechte Zimmerecke und öffnete den schwarzen Vorhang, welcher kurz davor war, komplett von der Stange zu rutschen. Sein Schlafzimmer hatten sie nicht durchsucht, schließlich gab es da auch nichts auf den ersten Blick zu finden, es war sehr steril. Elijah jedoch bückte sich rechts neben seinem Bett in Richtung Boden und schlug mit seiner Faust durch die Holzdielen hindurch.
„Jetzt muss ich auch nicht mehr vorsichtig sein.“ Für einen kurzen Moment blutete seine Hand, doch dank seiner Selbstheilungskräfte war dies schneller vorbei als es angefangen hatte. Man konnte eine alte Holzkiste im Boden sehen, welche genau so groß war, wie das Loch im Beton unter den Dielen. Er hob den Deckel der Kiste an. Dort befanden sich fünf dicke, alte Bücher. Er hob sie heraus. Sie waren in Leder eingebunden, sahen ziemlich mitgenommen aus. Er schritt in die Küche zurück, legte sie auf die freigeräumte Stelle, bei der Aenwynn stand.
„Meine Tagebücher“ sagte er leise.
„Ich habe sie geführt, als ich noch ein Mensch war.“ Wäre er imstande gewesen zu weinen, würde er dies jetzt vermutlich, zumindest würde eine Träne an seiner Wange entlang laufen, so stellte er es sich gedanklich vor. Doch Elijah hatte schon seit Jahrzehnten nicht mehr geweint.
„Die Anzüge fehlen noch.“ Elijah ging erneut in sein Schlafzimmer. Kurz beblickte er seine vier Anzüge, welche an einem gespannten Metallseil auf Bügeln hingen, die vier weißen Hemden hingen links daneben. Er richtete den schwarzen Vorhang so gut wie er konnte, jedoch war er sich sicher, Aenwynn konnte ihn noch etwas sehen, weshalb er sich umdrehte, so dass sie ihn nur von hinten sah.
„Einen Moment“ rief er, bis er sich langsam bis auf seine Unterhose entkleidete. Endlich war er diesen Anzug los – 'James sei Dank' – und zug sich ein frisches Hemd an. Für einen kurzen Moment konnte man sein Tattoo auf der linken Schulter erkennen, ein großer, schwarzer Kreis. Elijah zog sich das Hemd an, seine schwarze Anzughose, seinen eigenen Ledergürtel sowie die Anzugjacke. Zuvor hatte er sich frische Socken angezogen, um jetzt auch sein zweites Paar Derbyschuhe aus der Kommode links neben dem Bett zu holen.
Elijah öffnete den Vorhang, kam mit sauberen, passenden Klamotten wieder aus dem Schlafbereich.
„Schon besser“ flüsterte er grinsend. Auf seinem Arm trug er noch drei weitere Bügel mit weißen Hemden, in der rechten Hand hielt er die anderen Anzüge.
„Die Krawatten kauf ich neu“ sagte er grinsend, schritt auf Aenwynn zu, legte die Kleidung auf die Tagebücher. Für einen kurzen Moment hielt er inne, seine Lippen bildeten schon die Aufforderung, sie könnten los, doch beinahe hätte er das Wichtigste vergesse.
„Hm, das könnte weh tun. Als ich es habe einbauen lassen, habe ich nicht damit gerechnet, dass ich so schnell da ran müsste.“ Er schritt an den Stromkasten, welcher sich direkt hinter der Eingangstür befand, so dass man diesen nur zu Gesicht bekam, wenn man in der Wohnung war und die Tür geschlossen hatte. Er trat vor den Schaltkasten, öffnete die Tür. Im ersten Moment sah man nur ganz normale Schaltknöpfe für die verschiedenen Sicherungen im Haus. Im nächsten Moment schlug Elijah mit der linken Hand durch die Sicherungen hindurch, welche auch Verbindungen zu dem Starkstrom hatten, welche er zum Beispiel für seinen Ofen brauchte. Elijah schrie auf vor Schmerzen, der Schrei klang bestialisch, ein lautes
Rauschen war zu hören, welches sogar Elijahs Schrei übertönte. Im nächsten Moment jedoch war alles vorbei, selbst das rote Licht an der Mikrowelle war ausgegangen. Das Stromnetz war zusammengebrochen.
„Puh... Das tat weh“ sagte er lachend.
"Also ein junger Vampir wäre jetzt vermutlich mehr als durch." Er zog an dem Kabelnetz und riss es aus dem Stromkasten heraus. Dahinter verbarg sich ein uraltes Buch, unglaublich dick, im ersten Moment erinnerte etwas an eine Bibel. Viele Seiten waren vergilbt, Elijahs Nase vernahm auch den etwas muffigen Geruch, dabei war er sich gerade unsicher, ob es das Buch war oder die verkohlte Hand, welche gerade heilte. Bei diesem Gedanken wurde sein Grinsen verstärkt. Dann griff er jedoch nach dem Buch, zog es vorsichtig aus der Wand heraus.
Er drehte sich zu Aenwynn um, seinen Blick jedoch auf das gerichtet, was er in der Hand hielt.
„Darf ich vorstellen? Mutters Grimoire.“ Er blickte zu Aenwynn.
„Es gehört dir.“ Er hielt es ihr hin.
„Du kannst es nicht einfach öffnen, wie du vielleicht weißt. Es öffnet sich dann, wenn es der Meinung ist, dass du ihm ebenbürtig bist.“ Elijah schnaubte kurz schauspielerisch.
„Also mir hat es sich nie geöffnet, aber wir wissen beide, dass es daran lag, dass ich kein Hexer bin.“ Er lächelte, legte es vor Aenwynn auf die Ablage.
„Geh sorgfältig damit um, dieses Buch ist älter als ich es bin.“ Er fuhr über ihre Finger, nachdem er sich neben sie gestellt hatte.
„Kannst du uns zu dir bringen?“ Für einen kurzen Moment blickte er zurück in seine Wohnung.
„Mehr brauche ich nicht.“