2017. Zweitausendsiebzehn. Egal welche schreckliche Nachricht die Menschheit je erschüttert hatte, sie entwickelte sich vorwärts, die Welt drehte sich im Kreis, immer weiter, immer nach vorn, egal wie viele verzweifelte Seelen je zurück geblieben waren. Egal wie viele Dinge und Fakten sich die Menschen nicht erklären konnten, sie fragten nicht nach, sie dachten nicht nach, sie wollten nicht in Panik geraten, all ihre Neugier war erloschen, seit es jemanden gab, der die Dinge für sie erklärte. Jegliche grausame Erscheinung wurde durch eine psychische Krankheit erklärt, egal was passierte – es musste ja ein Verrückter gewesen sein. Die Wahrheit? Interessierte sie nicht. Terroristen, Mörder, Betrüger, Verrückte, Schwachköpfe, Wahnsinnige – sie lebten alle zusammen, doch trat einer aus der Reihe, dann, aber nur dann – dann war man besonders verrückt.
So saß er da. Drehte seinen Löffel in der Capuccinotasse umher. Eindeutig der billigste Kaffee, den er je getrunken hatte. Aber was sollte man im Jahr zweitausendsiebzehn auch anderes erwarten? Vielleicht war die Industrialisierung mehr Rück- als Fortschritt. Er erinnerte sich an seine erste geröstete Kaffeebohne, als wäre es gestern gewesen. Dabei war es das Jahr 1703 gewesen, als die ersten Menschen in Europa auf die Idee gekommen waren, Kaffee zu verarbeiten. Damals war er 29 Jahre alt. Seit über 700 Jahren. Was das bedeutet? Er ist verdammt alt. Und doch steckte er im Körper eines 29-jährigen Mannes, mit kurzem braunen Haar, braunen Augen und einem verschmitzten Grinsen. Sein Anzug wirkte unglaublich teuer, denn Qualität war ihm wichtig. Eine junge Kellnerin kam zu seinem Tisch, hinaus vor das Café in den Außenbereich, dorthin, wo er saß, und blickte ihn freundlich an, sie wirkten vertraut. „Kann ich noch etwas für Sie tun, Elijah?“ Er lächelte freundlich, winkte ab „Alles gut Mary, Sie machen einen zauberhaften Job hier“. Er bezahlte großzügig, stand auf, richtete sich das Jackett, der leichte Wind wehte durch seine Haare, schließlich blickte er über die Straße hinüber zum Piccadilly Circus.
Das Wetter heute in London war selbst zu später Stunde noch traumhaft, trotz dass es gegen sechs Uhr abends ging, zeigte die Sonne sich von ihrer besten Seite. Und das in einer Stadt, welche bekannt war für den meisten Regen im Jahr. Dass dieses kleine Café sich hier überhaupt halten konnte, zwischen den ganzen großen Marken hier, verstand Elijah nicht, dennoch liebte er diesen Laden. Vermutlich, weil sich hier eher Menschen unterer bis mittleren Schicht aufhielten und er so interessanteren Gesprächen lauschen konnte, als das abartige Geschwätz reicher Schnösel, die keine Ahnung von der Welt hatten und sich mit ihrem Geld untereinander profilieren mussten. Auch interessierte ihn das Liebesleben von Mary, über welches sie jeden Nachmittag in ihrer Pause mit ihrer Kollegin Hope sprach. Sie war gerade mal 18 Jahre alt und doch so begehrt... und naiv. Die Kellnerin nickte ihm ein letztes Mal zu. Elijah grinste. Sie ging zurück in das Café. „Er ist so gütig“ flüsterte sie zu ihrer Mitarbeiterin. Elijah winkte, ging zwei Schritte Richtung Kreuzung und verschwand. Mary hatte geblinzelt und er war verschwunden. Ob sie etwas ahnte? Es war ihm egal. Er wusste zwar, sie interessierte sich unglaublich für übernatürliche Dinge, aber das taten viele Menschen. Die Ernsthaftigkeit dahinter beschrieb die Tatsache, ob Mary ihm gefährlich werden konnte oder nicht.
Er bewegte sich schlussendlich zwei Straßen weiter zum Golden Square, ein relativ großer Platz, welcher großzügig mit Chrysanthemen bepflanzt worden war, zwischen all den Wohnhäusern. Er wusste nicht, ob er heute Abend noch zurück nach Hause gehen sollte, schließlich wohnte er am anderen Ende der Stadt und fühlte sich irgendwie nicht bereit dazu, in sein Penthouse zurück zukehren. Es klang verrückt, aber er fühlte sich einsam, auch wenn er schon seit hunderten von Jahren einsam war. Niemand weilte lang an seiner Seite. Elijah saß auf einer Parkbank, dachte nach. Mittlerweile fühlte er sich nicht mehr so stark, das Belauschen der Menschen wurde sichtlich schwerer für ihn, das Filtern jeglicher Informationen und Geräuschen, auch seine Agilität ließ nach. Nach drei Monaten völliger Abstinenz war es vermutlich wieder an der Zeit. Sichtlich verschlechtere sich seine Laune. Er wollte nicht, er konnte nicht. Er wollte sich menschlich fühlen, immer wieder... doch ihm war bewusst, dass er nicht menschlich war. Seine Augenfarbe verdunkelte sich zu einem tiefen Schwarz. Er musste sich nähren, doch innerlich war er nicht bereit dazu. Außerdem konnte er nicht mehr in ein Krankenhaus gehen um dort die Konserven zu klauen, die Regierung würde Wind davon bekommen... Blut war Mangelware. Zusätzlich ist London bekannt als ein großer Pool für Vampire. Zu dieser Spezies gehörte er.
Es gab genug Menschen auf dieser Welt, welche wussten, dass es Vampire gab, die es jedoch geheim halten mussten. Manche nahmen ihr Geheimnis mit ins Grab. Und die, die es von Elijah wussten, waren schon längst tot. Denn er gehört zu den sogenannten Ur-Vampiren. Doch was genau dies bedeutete, wusste vermutlich nur er selbst... Er blickte gen Himmel. Es schien langsam zu dämmern. Er seufzte. Was sollte er tun? Hier sitzen bleiben? Es waren noch verdammt viele junge Menschen unterwegs, an so einem Freitagabend war dies jedoch nicht unüblich. Sein Blick ging in die Ferne und so saß er da.